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Sonntag, 3. Dezember 2017

Gedanken zum Sonntag - Familiengefühle reloaded

Weihnachtszeit ist Familienzeit. So viel ist klar, so ist es auch bei uns. Wenn man gestern beispielsweise meine Eltern und mich über den Weihnachtsmarkt laufen gesehen hat, danach essen und noch nachts auf den Bus wartend, weil ja jeder was trinken wollte, könnte man glatt neidisch drein blicken. Eine Familie, die auch trotz einer erwachsenen Tochter eine Einheit ist und einen starken Familienzusammenhalt pflegt. Wo es scheint, als wären Eltern und Kind beste Freunde.

Doch das war weiß Gott nicht immer so. Ja, eigentlich hat es Jahre lang danach ausgesehen, dass wir eine der Familien werden, die irgendwann kaum noch richtig miteinander spricht und nur aus "Pflichtgefühlen" Feiertage wie Weihnachten gemeinsam verbringt. Um das zu erklären muss etwas weiter ausgeholt werden.

Über meine Kindheit vom Gesichtspunkt eines Außenstehenden kann ich mich wirklich nicht beklagen. Meine Eltern haben alles in ihrer Macht stehende getan, damit ich immer alles hatte und zufrieden wirkte. Das alle Außenstehenden, Nachbarn, andere Eltern, Kindergärtnerinnen, Lehrer etc das Bild einer glücklichen kleinen Familie hatten, der es an nichts mangelt. Aber ihr ahnt es schon, der Schein trügt leider etwas. Denn auch wenn ich aus materieller Sicht alles hatte, hab ich es doch sehr vermisst, dass die Familie zusammen ist. Meinen Papa hab ich die ersten Lebensjahre sehr wenig gesehen, da er beruflich in ganz Deutschland unterwegs war. Und das nicht nur ein Mal im Monat, sondern 4 Tage die Woche in unterschiedlichen Regionen. Kurz nach der Wende hat er von seinem Chef die Chance bekommen das Unternehmen im ehemaligen Osten auf- und auszubauen. Wir sind generell sehr oft umgezogen, von Oldenburg an die Ostsee, dort ein paar Orte weiter, weiter nach Sachsen-Anhalt und dort intern schließlich in den Ort, wo ich letztendlich meine Schulzeit verbracht habe. Effektiv bin ich in meinen ersten 4 Lebensjahren 6 mal umgezogen. Das war immer viel Stress und mit viel bauen verbunden, ich war also schon früh darauf angewiesen mich mit mir selbst zu beschäftigen. Auch während der Kindergartenzeit war mein Papa sehr viel weg, meine Mama hat in der nächst großen Stadt gearbeitet (45km von unserm Ort) und meine Großeltern wohnten 300km weg. Also hieß es mal wieder "Kathi beschäftigt sich selbst." Es klingt wahrscheinlich schlimmer, als es wirklich war, denn ich bin so schon sehr früh sehr selbstständig geworden.

Wer jetzt denkt, dass ich tun und lassen konnte, was ich wollte, liegt falsch. Denn während mein Papa zwar nicht nur am Wochenende richtig zu Hause war hat meine Mama aufgehört zu arbeiten, wir haben meine Großeltern zu uns in den Ort geholt und sie hat sich auf die volle Pflege konzentriert. Sie waren zwar da noch recht fit, aber die Demenz war doch schon zu spüren, was wir damals noch nicht wussten. Also verbrachte meine Mama die meiste Zeit vom Tag bei meinen Großeltern, ich war wieder nach der Schule alleine auf mich gestellt. Doch während alle andern im Alter von etwa 13 immer mehr machen durften musste ich trotzdem immer früh zu Hause sein, durfte vieles nicht und hatte sehr strenge Regeln. In der Zeit hat meine Mama einen starken "Zwang" zum Bemuttern und Übervorsichtigsein entwickelt. Damals empfand ich es als lästig und unfair, heute kann ich nur erahnen wie es ihr ging. Denn anstatt wie sonst jeden Tag zu arbeiten und ein geregeltes Leben zu haben war sie nun zu Hause, kümmerte sich um meine Großeltern und um alles andere in der Familie. Ich denke, ihr hat eine lebensfüllende Aufgabe gefehlt und daher hat sie sich so extrem an mich geklammert. 
Schon früh wollte ich einfach nur weg, das erste Mal hab ich das mit 14 umgesetzt indem ich nach Russland zum Austausch gefahren bin. Dabei habe ich meine Eltern mehr oder weniger vor vollendete Tatsachen gestellt und die ausgefüllten Formulare einfach vorgelegt, inklusive der zustimmenden Schreiben der Lehrer. Sie mussten nur noch unterschreiben und das haben sie auch. 2 Jahre später lief es genau so, nur dass es da nach Amerika zum Austausch ging. Im Nachinein muss das sehr schwer für meine Eltern für meine Eltern gewesen sein, denn auch mein Verhalten war da nicht richtig.

In den Jahren kam es zu sehr vielen sehr große Streitigkeiten. Da ich früh selbstständig werden musste habe ich einen ausgeprägten Abwehrmechanismus entwickelt, der oft sehr rabiat war. Ich habe einfach gemauert, niemanden an mich gelassen und alles sofort negativ aufgefasst. Während mein Papa der ruhige Pol in der Familie ist sind meine Mama und ich richtige Sturköpfe. Ich weiß nicht wie oft bei uns im Monat früher die Türen geknallt haben, wir uns angebrüllt haben und doch am Ende zusammen in der Küche gesessen und gemeinsam geweint. Als pubertierender Teenager fühlt man sich dann schnell nicht willkommen und auch ich dachte oft, dass meine Eltern froh wären, wenn ich weg wäre.
Daher stand für mich auch früh fest, dass ich nicht in der Nähe studieren werde. Das es dann doch 500km weit weg wurden war eher Zufall. Und so rückte der Tag näher, an dem ich ausgezogen bin. Die Stimmung in der Familie entspannte sich zunehmend schon vorher, vielleicht auch weil ich erwachsener und ruhiger geworden bin. Und am Abend vor meinem Umzug, bevor ich mit meiner Mama nach Heidelberg gefahren bin um meine Wohnung einzuräumen und mein Papa am Wochenende nachgekommen ist mit dem Rest, haben wir zu zweit in der Küche gesessen und musste trotzdem weinen. Plötzlich war es sehr schwer auszuziehen. Auf einmal hat man realisiert, dass ein Lebensabschnitt vorbei war. Und wie schön es doch trotz aller Reibereien war. 

Seit ich ausgezogen bin hat sich unser Familienverhältnis verändert. Wir sind alle ruhiger geworden, streiten kaum noch und haben viel mehr auch emotional zueinandergefunden. Ich bin in den Ferien sehr oft zu Hause und freu mich darauf. Und meine Eltern besuchen mich hier oft und es ist immer sehr schön.
Wie ihr seht ist nicht immer alles gold was glänzt. Ich hatte weiß Gott keine schlechte Kindheit, auch wenn ich es als Kind damals dachte. Wir waren halt eine etwas andere Familie, mit zwei Dickköpfen. Trotzdem haben wir immer zusammengehalten wenn es darauf ankam. Manchmal muss man eine große Veränderung hervorrufen, in diesem Falle meinen Auszug. Denn manchmal muss man sich von geliebten Menschen entfernen um wieder neu zueinander zu finden. Und heute kann ich vom ganzen Herzen sagen, wie sehr ich meine Familie liebe und wie froh ich bin, sie zu haben und wie alles ist.
Manchmal muss man sich einfach mal kurz die Zeit nehmen und dankbar sein für das, was man hat, auch wenn es nicht immer leicht war. 

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